Lilia Christina | *1966
Hüterin von Coeurmelot
"Mit null eigenem Vermögen unterschrieben wir kühn einen Vorvertrag für ein einsames bretonisches Dorf, das von Brombeeren zugewuchert war. Wir waren schlicht verrückt."
Ich wuchs in einer Mittelstandsfamilie mit Schwester, Mutter und Vater in einem «Bunker» in Wuppertal auf. Unsere Wohnung lag im 2. Stock eines Flathauses, das zu einem Komplex mit Hochhaus, einer riesigen Parkplatzlandschaft und grauer Betonwüste gehörte. Vierhundert Wohnparteien und Firmen in unzähligen Büros belebten diese hotelähnliche Anlage. Das einzige Grün war in einem Kasten mitten in der Betonlandschaft gefangen. Hunderte von Autos parkten im Hof und in der Tiefgarage. Mein Vater war der Verwalter dieses Komplexes und sein Freund, den ich Onkel nannte, betrieb im Erdgeschoss des flachen Hauses ein gut gehendes Fenster- und Türenunternehmen. In dessen Untergeschoss war ein unterirdischer Schiesstand eingerichtet. Das Heiligtum meines Vaters. Der Zugang war nur über Onkels Zentrale möglich. Mein Vater führte über vierzig Jahre lang diese Schiessanlage und gründete dessen Verein. Ich lernte mit sechs Jahren mit verschiedenen Schusswaffen umzugehen. Mit Klein- und Grosskaliber, Pistolen und Revolvern zu schiessen war für mich kein Ding. Mein Vater besass eine bedeutende Sammlung, die mein Onkel bediente. Dieser leitete einst den deutschen Spielmannszug in den USA. Es gab Trompeten, Flöten, Bajonette, Uniformen und Mützen von hohem Sammlerwert. Mein Vater war von der Gunst des Onkels in vielerlei Hinsicht abhängig. Und so sah er auch nicht hin, als es um den Schutz seiner Tochter ging. Der Onkel war in kleine Kinder vernarrt. Ich war ein süsses Mädchen mit Kulleraugen und schneeweissem Haar und der Freund meines Vaters hatte es auf mich abgesehen. Er hofierte mich und hiess meine Eltern, mich zu ihm runter zu schicken, wenn er mir etwas schenken wollte. Ich erinnere mich, wie er schon mir kleines Mädchen einbläute, ja nichts seiner Frau Lore von den Geschenken zu erzählen. Der Onkel war Millionär und hatte viele Patenkinder in der ganzen Welt. Er kümmerte sich um sie und deren Familien, das ist unbestritten. Doch er liess die Mädchen und Jungen regelmässig einfliegen. Es gab Gruppenausflüge ins Fantasialand, zu denen ich auch eingeladen wurde. Wir Kinder hielten uns an den Händen und wurden durch dunkle Gänge geführt. Es gab mehrere Männer, die uns begleiteten. Aber ich erinnere mich nicht an Fantasialand. Meine Kindheit war für mich sehr finster und ich erinnerte mich an wenig. Ich träumte jede Nacht von dunkel gekleideten Verfolgern mit einer Pistole in der Hand, die mich umzubringen wollten. Jahrelang konnte ich nicht durchschlafen, weil mich die Träume verfolgten und ich immer in dem Moment erwachte, als die dunkle Gestalt den Schuss auf mich abfeuerte. Ich schlief mit zwanzig Kuscheltieren und sah überall finstere Schatten. Der Onkel beschenkte mich, meine Eltern nötigten mich, alleine zu ihm in den Laden zu gehen, um mich zu bedanken. Rückblickend war ich schon mit zehn ein depressives Mädchen, das nach Sinn und Erhellendem suchte. Wenn meine Eltern Dokus im Fernsehen über Indianer und Stammesleben anschauten, sass ich im Türrahmen und heulte aus Sehnsucht nach einem anderen Leben. Mein grösstes Gut war der Wald, wo ich auf Bäume klettern, im Wasser waten und mich im Dreck wälzen konnte. Nach der Schule rannte ich stets nach Hause und bettelte, ins Grüne zu fahren. Meist fuhren wir jedoch nur sonntags eine Runde in den nächsten Forst. In der Natur zu leben, war immer mein grösster Traum. Meine Mutter begann sich dann irgendwann zu wundern, warum ich keine Erinnerungen hatte. In mir war alles pechschwarzdunkel. In der Pubertät verfinsterte sich mein Leben noch mehr, der kontinuierliche Schmerz, den ich nicht einordnen konnte, wurde mir unerträglich. Ich unternahm alles, um mich zu spüren: Ich ritzte mich, ich schlug meinen Kopf gegen die Wand, bis er blutete. Diese Schwärze liess mich in Literatur nach Antworten suchen, ich verschlang philosophische Bücher. Meinen Eltern war ihr gutbürgerliches Ansehen wichtig und sie hatten keine Antennen für meine Not. Vordergründig waren wir eine sonnige Familie, der es an nichts mangelte. Meine Eltern hatten kein Gehör für meinen Schmerz, wenn ich mich ihnen öffnete. Als ich einmal zu einem Psychologen wollte, meinten sie nur, ich sollte mich zusammenreissen. Mit vierzehn fuhren meine Eltern ein paar Tage weg und ich blieb alleine zurück. Währenddessen suchte ich das Solarium im Keller des Hauses auf, um mich zu bräunen. Der Onkel trat in den Raum, und begann mich, wie ich nackt da lag, zu streicheln. Ich flüchtete unter einem Vorwand und verbarrikadierte mich, bis meine Eltern zurückkehrten. Als ich meinem Vater davon erzählte, holte er tief Luft und sagte: «Ach weisst du was, vergessen wir es doch einfach!» Ich wollte nicht mehr leben und schluckte mehrere Male Tabletten. Aber die Versuche missglückten, weil ich mich immer übergeben musste. Später wies ich mich selber in die Psychiatrie ein, um mich nicht selbst zu gefährden. Endlich wurde meine Not anerkannt, ich bekam ein freies Bett, das ich jederzeit belegen konnte, bis die Angstzustände wieder vorbeigezogen waren. Zu Hause führte ich ein Eigenleben. Mit sechzehn klaute ich nachts das Auto der Eltern und fuhr zu meinen Freunden «in die Unterwelt». Ich konsumierte jegliche Substanzen, um mich zu betäuben. Unerschrocken und furchtlos vor dem Tod begab ich mich in brenzlige Situationen. Einmal legte ich mich mit Hooligans an. Extremsport wie Bungeejumping und Fallschirmspringen besorgten mir einen Kick. Der Onkel finanzierte mir meine teuren Hobbies. Er kaufte mir auch ein Pferd, die Ausrüstung, den Führerschein und später auch mein erstes Auto. Mit achtzehn lud er mich offiziell ein, seine Mätresse zu werden. Er würde mir ein feudales Leben in einem eigenen Appartement finanzieren, wenn er mich nur ab und zu ficken dürfe. Obwohl es mir selber jahrelang elend ging, war ich immer ein Magnet für andere. Ich wurde stets um Rat gefragt. Wahrscheinlich, weil ich schon immer eine gesteigerte Sensitivität hatte. Eine Erscheinung, die mich zusätzlich belastete war, dass ich Visionen hatte und Ereignisse voraussagen konnte. Es begann Tage vor dem Tod meiner Oma, als ich ihren Tod gesehen und es laut ausgesprochen hatte. Mir wurde der Mund verboten, doch die Wahrnehmungen verstärkten sich. Ich lief durch die Strasse und las in der Aura der Menschen ihren Gesundheitszustand, Tumore oder das nahe Ableben. Einmal sah ich den Genickbruch eines Bekannten durch einen Skiunfall voraus, der tatsächlich eingetreten ist. Für mich war es gruselig und ich konnte es nicht abstellen. Wieder hatten meine Eltern kein Feingespür dafür und liessen mir von einem Arzt Medikamente gegen mein Verrücktsein verschreiben. Erst viele Jahre später erkannte ich die Gabe des Hellfühlens und Hellsehens als ein Geschenk in meiner Heilerinnenarbeit Ende zwanzig begann ich mit Therapien, um alles aufzuarbeiten. Ein Aufenthalt in einer Klinik und ein Zwölfschritteprogramm wurde zu meiner Wende und Lebensrettungsstrategie. Noch nie wurde ich so geliebt und gehalten. Die Therapien, die die Zellerinnerung aktivierten, waren Hardcore. Ich erinnerte mich wieder an die sexuellen, rituellen Missbräuche, die mir ab dem zweiten Lebensjahr widerfahren waren. Ich begriff im vollen Ausmass, was mir angetan wurde. Heute verstehe ich, dass es zu meinem Schutz war, dass ich als Kind dissoziierte. Daran lag der Erinnerungsverlust und das Tappen im Finstern. Ich gab immer Zeichen und Hilfeschreie, die meine Eltern jedoch konsequent ignorierten. Selbst als mir nach den Suiziden in der Klinik Therapien empfohlen worden waren, verwehrten sie sie mir. Ich bräuchte sie nicht, ich bräuchte mich nur zusammenreissen. Im Zug von Covid, als von der in der Isolation zunehmenden häuslichen Gewalt berichtet wurde, traten die Dämonen aus der Kindheit noch einmal aus dem Keller. Ich bin heute in Frieden mit meinen betagten Eltern, obwohl sie meinen Missbrauch nie anerkannt haben. Ich hatte zu meinem Schutz jahrelang keinen Kontakt mit ihnen. Auch mit meinem Schänder nicht. Er war voller Krebs und ich weiss nicht einmal, ob er noch lebt. Ich habe das was passiert ist in mein Leben integriert. Ich bin als Kind zu meiner Rettung aus dem Körper gestiegen und in eine Fantasiewelt gereist, ritt als Fee auf Einhörnern und Drachen. Meiner Seele und meinem Geist konnte man nicht wirklich etwas anhaben. Bühne Was mich durch alles getragen hatte, war das Ballett. Eine strenge und gütige tschechische Ballettlehrerin choreografierte für mich bereits als sechsjährige Hauptrollen und so stand ich sehr früh auf der Bühne. Mit sechzehn kam ich ins Opernballett in meiner Heimatstadt Wuppertal. Die Garderobe teilten wir mit dem Pina Bausch Ensemble und ein Tänzer von ihr wurde unser Hauptchoreograf. Ich tanzte in Opern, aber auch Cabaret und in Stücken von Berthold Brecht. Um mit Uwe Friedrichsen zu spielen, kam ich zum Düsseldorfer Schauspielhaus. Das war meine Welt! Mit neunzehn, was relativ spät für eine Ausbildung ist, kam ich nach Hamburg an die Stage school of dance and drama, um Gesang, Tanz und Schauspiel zu studieren. Ich tanzte sechs Monate im Lido in Paris. Es folgten Hauptrollen in Cats und Starlight Express. Als die neue Flora gebaut wurde, probte ich Christine Dae mit Peter Hoffmann für die Premiere. Für mich fand die Premiere jedoch nie statt, denn ich wurde schwanger und wurde vorher "gegangen". Das war hart und ich kehrte dem Theater den Rücken zu, denn ich wollte ganz und gar für das Kind da sein. Erst zwölf Jahre später, nach der Geburt meiner Tochter, fing ich wieder an zu tanzen, studierte Flamenco, was zu meiner grossen Leidenschaft wurde. Ich trat mit einer kleinen Gruppe auf. Alle sechs Jahre ein Kind geschenkt Mein Erstgeborener heisst Amon. Er lebt heute in Deutschland, ist ein stattlicher Mann, arbeitet mit behinderten und psychisch kranken Menschen und ist Qi Gong Lehrer. Paulina wurde mir sechs Jahre nach Amon geschenkt. Sie ist wunderschön, studiert heute Kunstgeschichte und ist bereits einmal um die ganze Welt gereist. Emin kam sechs Jahre nach Paula. Durch einen Ärztefehler unter der Geburt erlitt er schwere Hirnschäden. Heute lebt Emin in Deutschland in einer Institution und arbeitet demnächst in anthroposophischen Werkstätten. Normalerweise verbringt er in den Ferien bei uns, doch wegen des Virus ist es derzeit nicht möglich. Meinen dritten Sohn Etu bekam ich zum Valentinstag in meinem 42. Lebensjahr. Drei Jahre lang ich seine Seele bereits präsent und mit mir in Kontakt. Am Tag nach der Zeugung wurde ich von einem goldenen Licht geflutet, ich spürte wie seine Seele sich einsenkte. Etu ist heute vierzehn, voller Liebe und ein neugieriges Wassermannkind, immer für neue Abenteuer zu haben ist und gesund an meiner Seite. Die drei Söhne und die Tochter sind von verschiedenen Vätern. Ich liebe alle meine Kinder zutiefst und bin sehr stolz auf sie. Mein Weg zur Heilerin Nach der Geburt von Amon stimmte etwas nicht. Er erbrach ständig und trank Unmengen. Es begann eine zweijährige Odyssee mit unzähligen Untersuchungen. Ein anthroposophischer Arzt fand heraus, dass der Junge einen Hypophysentumor hatte, der jedoch für eine Operation zu gefährlich war. Wir pendelten jahrelang zwischen Zuhause und Klinikaufenthalten. Mein Sohn brachte mich dazu, nach Alternativen zu suchen. Er war meine Initiation in die spirituelle Welt. Ich bereiste viele Länder, absolvierte schamanische Ausbildungen und wurde Schülerin von Don Agostin in Peru. Ein Heiler in Brasilien befreite meinen damals 12-jährigen Sohn von seinem Tumor. Er nahm mich als Medium an und aus Dankbarkeit für die Genesung meines Kindes begleitet ich zehn Jahre lang zweimal jährlich Gruppen zum Heiler. Ich wurde Zeugin von unzähligen Wundern. Emin erlitt unter der Geburt durch Ärztefehler schwere Hirnschäden. Sechzehn Mal wurde er in seiner ersten Lebensnacht reanimiert. Er überlebte die Tortur der Herz-Lungen-Maschinen und die Drogen, mit denen sein Babykörper vollgepumpt war. Als die Ärzte die Substanzen absetzten, sagten sie mir, dass die sich ausschleichen würden, aber bei Emin wäre die Hirnschädigung so gross, dass er eh nichts fühlen würde. Wie erschraken sie, als er sich bewegte und schrie! "Grosser Kämpfer" nannten sie ihn. Meinem zweiten Sohn wurde prophezeit, dass er niemals alleine essen, nie laufen und sprechen könnte. Wieder suchte ich noch tiefer nach Heilung. Was ich für meine Söhne um die Welt gereist bin und worin ich ausgebildet wurde, kann ich kaum erzählen. Ich bewegte mich erneut zwischen konventionellen Kliniken und den krass anderen geistigen Welten. Immer wenn ich mich freischaufeln konnte, stieg ich in ein Flugzeug und war in Brasilien, Peru, Mexiko mit Schamanen unterwegs. Ich wurde als Curandera geweiht. Ein Initialfunken war die (Wieder-) Begegnung mit dem brasilianischen Stammesführer der Fulnio Indianer. Es war ein Wiedererkennen und sie nahmen mich in einer Zeremonie in ihren Stamm auf. Nie werde ich vergessen, wie sie alle um mich herumstanden und für mich sangen und mir dann eine Condorfeder überreichten. Als ich auch meine Stimme erhob und für sie sang, rissen sie die Augen auf. Mehrmals wurde ich auf einen Ritualwalk in Pernambuco eingeladen und ich lernte unendlich viel. Betrüblich war zu beobachten, wie das Volk durch die brasilianische Regierung ihres natürlichen Lebensraumes beschnitten wurde und es in Alkoholsüchte abdriftete. Ich startete mit anderen Menschen ein Hilfsprogramm. In Deutschland "behandelte" ich meinen Sohn selber, indem ich meinem ausgeprägtem Mutterinstinkt und meinem Herzen folgte. Manchmal bedingte es gefährliche Wege. Einmal zog ich ihm die Nasensonde, um ihn immer wieder an meine Brust anzulegen und stellte alle Überwachungsgeräte aus. Es gelang mir, meinen Sohn sieben Monate lang zu stillen, obwohl er keine Schluck- und Saugreflexe hatte. Da anschwellende Wasser in seinem Kopf beruhigte ich mit Handauflegen, Singen und Geisteskräften, sodass er nicht operiert werden musste. Heute kann er gehen, laufen, Fußball spielen, singen und essen. Wenn wir telefonieren, schäkern und lachen wir. Er kann sich auch an Dinge erinnern. Auf Ärztekongressen wurde er "das Wunderkind" herumgereicht! Die Sendung Frontal 21 berichtete über Emins schweren Fall. Firmen planten ursprünglich ein Monopol auf CO2 zu setzen, mit dem die Herz-Lungen-Maschine betrieben wurde. Sie wollten den Preis um das 3000fache erhöhen. Dies hätte das Aus für die Inbetriebnahme der Maschine und den Tod von vielen Babies bedeutet. Nach der Sendung liessen die Firmen ihr Vorhaben fallen. Dreizehn Jahre lang pflegte ich Emin, bevor er in eine anthroposophische Bauernhofwohnstätte kam. Ich konnte die Bärenkrafte, die er als Jugendlicher in Ausbrüchen entwickelte, nicht mehr händeln. Obwohl es mir das Herz brach, war dies die beste Entscheidung meines Lebens. Er selber wollte bei der Besichtigung dorthin. Dort ist er familiär aufgehoben, bekommt Therapien und ist mit anderen Kindern zusammen. Mein Sohn ist sehr humorvoll, wenn wir sprechen, lacht er so gerne. Dennoch ist er in seiner eigenen Welt, in die ich dann mit hineingehe. Seit Jahren ist das die Welt von Zauberern, von Harry Potter und Harry und Hermine und seine Freunde sind immer bei ihm. Er redet mit ihnen, als wären sie da. Immer wieder muss ich Emin die Geschichte erzählen, wie er als Baby überlebt hatte. Mutterschaft | Frausein Wie ich durch all das durchgekommen bin, werde ich immer wieder gefragt. Mein Schlüssel ist das Durchfühlen von allem. Ich muss dafür nichts tun, ich bin einfach so. Wenn ich weine, dann weine ich, wenn ich Wut verspüre, lass ich sie fliessen. Und der Anblick einer kleinen Blume kann für mich die Welt bedeuten. Ich finde es verdreht und grotesk, wie sehr die Gesellschaft ein Mutterbild von unendlicher Aufopferung und Leiden schürt. Zu meiner Entlastung machte mein Sohn einmal im Jahr Urlaub in einer Einrichtung. Emin liebte es, denn sie unternahmen viel mit den Kindern. Ich sorgte gut für mich und führte meine Praxis in einer kleinen Villa in Langenberg weiter. Die Arbeit und mich stetig weiterzuentwickeln gab mir Kraft. Ich bin heute auch Reittherapeutin und zertifizierter pferdegestützter Coach. Ein freies Studienjahr absolvierte ich in Bildhauerei und Malerei. Im Schirner Verlag gab ich zwei Bücher und ein Kartenset heraus. Als Sterbetherapeutin führte ich fünf Jahre lang ein Sternenkinderteam vom Deutschen Roten Kreuz mit. In dieser Zeit begleitete ich Frauen mit still geborenen Kindern und konnte mit dieser Arbeit meine eigene Geschichte verarbeiten und integrieren. Weil ich so anders, als man es von einer Mutter erwartete, bin und handle, musste ich mir viele Anfeindungen von anderen Müttern anhören. "Sowas könnte ich ja nicht." war der Standardspruch. Meine Geschichte ist einfach ein Beispiel von vielen reichen Frauengeschichten. Man könnte denken: "Oh weh, so viel Leid, so viel Schlimmes, wie hat sie das nur geschafft?" Doch ich weiss, dass man jede Geschichte in eine Heldenreise umwandeln kann. Indem du die ungeheure Liebe und Kraft dahinter erkennst. Was für ein Reichtum an Erfahrung! Ich habe gelernt, aus Stroh Gold zu spinnen, Wunden in Wunder zu verwandeln. Mich nicht gegen etwas zu stemmen, sondern mit dem zu fliessen, was ist, birgt neue Möglichkeiten und ein Mildesein. Hätte man mir vorhergesagt, was mich erwartete, ich hätte wegrennen wollen. Aber mittendrin entdeckte ich Schritt für Schritt meine unendliche Kraft. Was ist alles möglich! Ich weinte viele Tränen, aber ich ging weiter. Stetig. Es gab diesen Moment, als die Überwachungsgeräte meines Kindes hundertmal Fehlalarm schlug, als ich alles abstellte, ich mein Baby zu mir ins Bett holte, mich mit ihm einkuschelte, ich nicht mehr wusste, ob es die Nacht überleben würde, ich alles losliess, dem Leben übergab und nur unendliche Liebe fühlte. Es war ein zärtliches Verstehen, ein tiefes Erkennen. Wenn du solche Momente erlebt hast, wer will dir denn noch was sagen? Und gerade, weil ich das alles erlebt hatte, konnte ich Frauen gut begleiten. Ich erinnerte sie an ihre unendliche Kraft der Liebe. Durch meine Geschichte ihren Funken wieder entzündete. Ich half ihnen, ihre Geschichte in eine Heldengeschichte zu verwandeln, ihre Wildheit und Freiheit zu erkennen und sich von nichts aufhalten zu lassen. Die Geschichten und Lebenswege anderer Frauen haben auch mir geholfen. Jeder Lebensweg ist auf seine Art und Weise tragisch und schön. Und so stark. Fast dreissig Jahre begleitete ich als Therapeutin, Schamanin, spirituelle Lehrerin Frauen. Sehr oft begleiteten mich meine Pferde, es war mein Leben und ich tat es mit meiner ganzen Liebe. Hoch traumatisierte Frauen vertrauten sich mir an. Zuerst arbeitete ich umsonst oder für einen gebackenen Kuchen und später verdiente ich damit meinen Lebensunterhalt. Mit derselben Liebe, die ich für die Frauen hatte, beendete ich diese Arbeit für die neue Liebe: Coeurmelot. Coeurmelot Mein ganzes Leben wünschte ich mir anzukommen. Doch mein Nomadenherz zog mich immer weiter. Ich diente jedem Platz, den ich fand und wusste, irgendwann finde ich den Ort, der gleich wie ich schwingt, der MIR dient. 2018 fanden wir ein Anwesen Meer in Crozon in der Bretagne. Ich war überzeugt, da alt zu werden und war mit Anfragen für Frauenretreats völlig ausgebucht. Ich arbeitete mit den Pferden, bildete Frauen aus, gab Einzelsitzungen. Dann kam das grosse C und ich verlor meine Einnahmen und somit unsere Lebensgrundlage. Ich war bestürzt, als wir auch noch unsere kleine Farm verlassen mussten. Im Supermarkt fiel mein Blick an die Werbewand, die ich sonst nie beachte. Ein 24 Hektar grosses Anwesen stand zum Verkauf. Es traf mich mitten in mein Herz. Drei Tage später setzten wir unsere Füsse auf den Boden, auf dem wir jetzt leben. Und mit dem ersten Schritt wusste ich, ich bin angekommen! Ich hatte keinen einzigen Zweifel. Noch nie hatte ich so etwas gesehen und betreten: Land und Wald so weit das Auge reicht, mit Fluss und See nur für uns! Es gibt uralte Eichen und einen Wald mit Tausenden von Haselnüssen. Das Herzstück ist ein altes Herrenhaus aus dem 18ten Jahrhundert mit Stallungen und einem Gebäude mit historischem Taubenschlag, die auf den Mauern eines uralten Templer Hofes ruhen. Mönche hatten hier gelebt, Wein angebaut, eine Mühle am Fluss und Fischzucht betrieben. "Und dann... und dann ist da noch irgendwo die letzte Wolfsfalle der Bretagne, irgendwo im Wald." Der Makler machte eine wischende Handbewegung. Wir erbaten noch ein, zwei Stunden bleiben zu können und fanden schnurstracks die mittelalterliche Wolfsfalle. Ich war angekommen. Was dann folgte, war pure Magie. Wir waren bereit, zu springen. Wir hatten keinen einzigen Zweifel. Mit null eigenem Vermögen unterschrieben wir kühn einen Vorvertrag für ein einsames bretonisches Dorf mit zu restaurierenden Gebäuden, einem winzigen bewohnbaren Haus, das von mannshohen Brombeeren zugewuchert war. Wir waren schlicht verrückt. Am Telefon sagte eine Freundin: "Lilia, du musst das jetzt machen, es gibt kein Zurück mehr!» Zwei Wochen später trat eine Investorin in unser Leben, die unbedingt ihr Geld in ein solches Projekt anlegen wollte. Da war es: mein "Asterix Dorf", ein Leuchtpunkt, ein Hafen, eine neue Welt. Vollkommen hingegeben an die Natur als wichtigste Kraft. Autark. Frei. Weihnachten 2020 zogen wir ein. Bis dahin hatten wir einen Permagarten angelegt, eine Jurte aufgebaut, alles von Brombeeren befreit, ein Festival organisiert und Zäune gebaut. Ohne Batu gäbe es Coeurmelot und mein Leben, wie es jetzt ist, nicht. Der Mann an meiner Seite, ein ehemaliger Elitesoldat und Schiffsbauer, kann einfach alles. Wenn wir gemeinsam durch die Wälder streifen, ist er es, der mit seinen achtsamen Augen die Schätze vor mir entdeckt. Ohne ihn wäre ich nie so gesprungen. Auf Coeurmelot ist im Grunde er es, der alles baut. Als wir uns vor Jahren begegneten, war es, als ob Zahnräder wie von selbst einzahnten und ein grosses Werk in Gang setzten. Ich war praktisch immer alleinerziehend, mit Batu war mir im späten Leben vergönnt, die grosse Liebe zu finden. Wir gaben uns 2018 mit einer richtigen Bohème Hochzeit im Burgund das Jawort. Nach Coeurmelot sind wir gemeinsam in unsere Heimat zurückgekehrt. Er kann so stur sein! Wenn wir uns auseinandersetzen, wackeln die Wände. Da ist nichts sanft, das sind Urgewalten, die alles sprengen. Im Pförtnerhäuschen, dem einzigen beheizbaren Wohnraum von Coeurmelot, auf 68 qm mit Sohn und fünf Hunden zu wohnen, ist für uns als Paar eine Herausforderung. Alles dient dem Aufbau und ich wünsche mir oft mehr gemeinsame "andere" Zeit. Ich bin nicht mit allem einverstanden, was Batu tut und manchmal hört er nicht auf meine weibliche Weisheit, die wie ein Seismograph Entwicklungen vorausahnt. Er ist trinkfest und als echten Wikinger kannst du ihn mit Vegan jagen. Aber er ist ein Fels in der Brandung, an dem ich als wogendes Meer immer wieder strande und breche. Und egal wie herausfordernd es auch ist, wir sind zutiefst verbunden und wie "aus einem Holz» geschnitzt! Mein Batu Mike, mein Mann, mein Gefährte, mein Druide, mein Herausforderer und liebevoller Sturkopf. Ich bin so froh, dass es ihn gibt. Meine Vision ist, eine neue Welt aufzubauen. Die vielen Anfragen von Menschen, die kommen und sich beteiligen wollten, mussten wir allesamt prüfen. Wir wissen, was es in der Realität bedeutet, ein Land zu bestellen und dass die meisten Menschen sehr romantische Vorstellungen vom Landleben haben. Einigen haben wir die Chance gegeben, doch sie konnten sich nicht halten. In der Natur und mit der Natur zu leben zeigt radikal wo du stehst. Als Hüter*innen von Coeurmelot ist es keine leichte Aufgabe, denn dieser Ort zeigt gnadenlos, wen er haben möchte und wen nicht. Er überprüft deine Echtheit, deine Ehrlichkeit und zeigt dir alles, was im Verborgenen ist. Doch wenn Coeurmelot in seiner reinen Energie schwingt, ist es, wie am Herzschlag von Mutter Erde selbst zu sein. Du betrittst durch eine unsichtbare Pforte eine magische, wilde Welt. Nichts ist hier wie in der Welt des Konsums. Ich bin also angekommen. Ich sinke in diese Energie und lasse mich hineinfallen. Alles Alte fiel von mir ab. Wer bin ich noch? Es erscheint mir wie ein Traum. Ich hatte schon die Jahre davor viel hinter mir gelassen, doch nun ist es ein radikales Einsinken in ein neues Leben, in eine andere Timeline. Alles scheint so fern. Die Natur ist meine Community, die Stille mein Elixier. Ich sinke immer tiefer in mich, möchte immer mehr von der Stille, die ja doch so viele Tonnuancen hat. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, auch nur einen Schritt zurückzugehen. Mein ganzes Leben hatte ich anderen Menschen gedient. Und jetzt werde ich umfassend genährt und gehalten von der grossen Mutter selber, der Erde und dem Wind, dem Wasser und den Bäumen. Sie gaben mir doppelt und dreifach zurück, was ich gegeben hatte und schenken mir neues Gleichgewicht. Kennst du die Stille? Liebst du sie auch so sehr? Im Winter ist es oft feucht und grau in der Bretagne. Doch unsere Hecke fängt jetzt im Januar schon an zu blühen. Wir werden jeden Morgen mit einem Vogelkonzert begrüßt. Das Klima ist ja sehr mild. Der Venusnabel ist überall zu finden, eine essbare und köstliche Frauenpflanze. Bald geht es daran, unsere Solaranlage aufzubauen. Sie wird Coeurmelot mit Strom versorgen. Und dann geht's erneut an den Permagarten. Die letzten zwei Jahre nahm meine Menschenliebe im Schatten der C-Ereignisse etwas Schaden. Es gibt schon sehr absurde und auch seltsame Menschen. Und doch liebe ich uns als Wesen zutiefst. Ich lasse nichts über meine wunderbaren Frauen kommen, die ich teils über Jahre hinweg begleitet hatte und deren Flug ihrer Seelen ich erleben durfte. Aber es gibt Leute, die mich auf ein Podest stellen und von mir erwarten, dass ich sie mit einem Schnippen von ihrem Leiden erlöse, ohne dass sie selbst den Finger aus dem A nehmen. Ich fordere klar und radikal, dass jede* selber die Schwellen überschreiten muss. Die Radikalität ist unbequem und ich wurde oft zur Projektionsfigur. Es ist wirklich eine krasse Scheisse, öffentlich sichtbar zu sein und mit denen umgehen lernen müssen, die ihren Mist an dir abwerfen. Ich bekomme nebst viel Bewunderung auch unreflektierte, miese Kommentare, E-Mails und Rezensionen. Nach der ersten heftigen Kritik auf mein erstes Buch war ich tagelang down und wollte mich nur noch verstecken. Ich merkte jedoch bald, dass entgegengebrachter Hass und Liebe wenig mit mir zu tun hat und meist eine Projektion des Zustandes der Person ist. Ich spare mir heute die Energie, diskutiere und erkläre meinen Weg nicht mehr. "My Life, my choices, my mistakes"! Früher verbrachte ich mit Lesen und Beantworten von Social Media Kommentaren mehrere Stunden am Tag, heute nehme ich es entspannter. Wer öffentlich mit Menschen arbeitet, weiss, was alles bedeutet. Derzeit bin ich tief in die Schmuckherstellung eingetaucht. Bei jedem neuen Collier habe ich das Gefühl, die Energie Coeurmelots und der zukünftigen Trägerin, mit meiner Liebe und Kraft in die Schmuckstücke zu weben und knoten. Ein besonderes Merkmal ist, dass die Halsketten nicht präzise symmetrisch sind, sie leben von der Unperfektheit und Strahlkraft. Es sind viel mehr als Schmuckstücke, sie sind gewebte Magie! Ich verkaufe sie unter @druida_dreamweaver. Im Shop biete ich auch Naturkosmetik an. In diesem Jahr kommen noch weitere handgearbeitete Kreationen dazu. Es wird Kraftobjekte aus dem Holz von Coeurmelot geben, geschmiedete Messer und Pendel von Aratirn, zarte Schmuckkreationen von Rachel, Holzmöbel und später Wikingerboote meines Mannes. Die handgearbeiteten Objekte werden um die Welt gehen, das habe ich schon in meinen Träumen gesehen. Später wird es auch einen Etsy Shop geben. Mit jedem Erwerb, mit jedem Folgen und Teilen, mit jedem Gedanken bilden Menschen eine Community, die Coeurmelot beim Aufbau unterstützen, damit es ein Lichtpunkt der neuen Welt wird.