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AutorenbildRose Marie Gasser Rist

Das kann man sich gar nicht alles ausdenken



Es hat sich herumgesprochen, dass ich Häuser und Tiere, für Besitzer, die sorgenlos in Urlaub fahren möchten, hüte. Für mich ist es willkommener Tapetenwechsel und mobiler Arbeitsplatz. Große Sprünge liegen momentan nicht drin, weil ein Jahresauftrag krankheitsbedingt abgesagt wurde und sich meine Kundin Clara auf wundervolle Weise verabschiedet hat.

Clara ist über neunzig zum Frühlingsanfang verstorben. Wenige Tage zuvor hatte ich sie als Biografin besucht und mit ihr Schweizer Volkslieder gesungen. Beim letzten Abschied sah ich sie in ein rosa Jäckchen gehüllt und von zarten Rosen umrahmt aufgebahrt. Sie lag, als würde sie etwas Schönes träumen. Eine Tochter anerkannte: «Dank deinem Zuhören konnte sich Mutter Clara Unerhörtes von der Seele reden und so die letzte Reise leicht antreten.»


Gibt es etwas Würdevolleres?


***

Nanina fragte mich also an, ihren Katzen und dem prächtigen Bauernhof in Neschwil während ihrer Ferien Sorge zu tragen. Der kleine Ort im Tösstal spielte eine Rolle in der Schulzeit meines Protagonisten Werner Rüegsegger. Das wusste ich schon, als ich mich in der warmen Stube einnistete, wie der Winter in dieser Frühlingswoche wieder zurückkehrte und alles mit weiss überzog. An Naninas Klavier schrieb ich Lieder aus meinen unschuldigen Anfängen als Songwriterin um und unterlegte sie mit neuen Rhythmen vom mobilen Tonstudio. Im kreativen Austoben vergass ich alles um mich herum, einzig die zwei Katzen strichen mir um die Beine, wenn sie Hunger hatten und mich erinnerten, dass auch ich den ganzen Tag nichts gegessen hatte.


Erst am letzten Abend lockte es mich aus dem Haus und ich kehrte in der einzigen Dorfbeiz ein. Im Freihof kam ich mit der ehemaligen Wirtin ins Gespräch und fragte sie, ob sie etwas über Wernis Familie wusste, die in den 1950ern im Dorf gelebt hatte und dann weitergezogen war. Mir blieb die Kinnlade offen, als ich erfuhr, dass Werni exakt in dem Bauernhaus, das ich im Begriff war, zu hüten, seine Kindheit verbracht hatte. Wernis Mutter Martha fand einst einen Herzstein im Garten, den sie ihrem Jüngsten beim Gutenachtkuss schenkte. Wenige Tage später verstarb sie an einem Hornissenstich, nachdem der Arzt nichts mehr ausrichten konnte. Der Herzstein war der einzige Trost des damals zehnjährigen Buben und blieb ihm 75 Jahre lang ein treuer Talisman.


Schlussfolgernd machte ich Musik in der Stube, in der die Mutter verstarb und im Garten, wo der Aprilschnee lag, klaubte einst Martha den Stein aus der Scholle. Dass sich zudem Marthas Todestag bei Naninas Rückreise am 5. Mai jährte, all das kann man sich gar nicht ausdenken! Und es ist erst der Anfang der Reihe von unfassbaren Zufällen, die Wernis Geschichte ausmachen.


Werni erzählt und ich lese im legendären Sommerladencafé Altnau. Kommt und lauscht!


SALUTI WERNI

Samstag, 25. Mai 2024 | 18.30 Uhr

Sommerladencafé | Beim Bahnhof Altnau

Lesung und Begegnung mit Werni Rüegsegger


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PS: Wem das zu viel Tod und Sterben ist, dem sei gesagt: Du machst dir mit der Auseinandersetzung mit deiner Biografie in jeder Lebensstufe ein Geschenk.

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